Blick in die Eiszeit

EiszeitVor etwa 40.000 Jahren, am Ende des Mittelpaläolithikums (mittlere Altsteinzeit), wurde Europa von den Neandertalern (Homo neanderthalensis) bevölkert. Diesen letzten Neandertalern war auch Werner Hülle auf der Spur, als er zwischen 1932 und 1938 Ausgrabungen in der Ilsenhöhle unter der Burg Ranis durchführte. Neben zahlreichen Tierknochen, etwa vom Höhlenbären, der Höhlenhyäne und Nashörnern, konnte der Ausgräber in der Kulturschicht „Ranis 2“ einige große, blattförmige Feuersteinspitzen bergen. Ursprünglich dem modernen Menschen (Homo sapiens) zugeschrieben, ist man sich heute weitestgehend einig, dass diese Feuersteinspitzen von den letzten in Europa lebenden Neandertalern hergestellt wurden – in der Forschung wird diese Werkzeugkultur mit dem englischen Begriff „Ranisian“ bezeichnet. Für ihre Verwendung gibt es heute zwei Hypothesen: Als Spitzen hölzerner Speere oder längerer Stoßlanzen könnten die Blattspitzen als Jagdwaffen gedient haben. Eingeklebt in einen Holz- oder Knochengriff, beispielsweise mit aus Birkenrinde gewonnenem Pech, wäre auch eine Verwendung als Messer denkbar.

Die Funde des Neandertalers aus der Schicht „Ranis 2“ werden in der Ilsenhöhle von der archäologischen Fundschicht „Ranis 3“ überlagert, welche Steinwerkzeuge enthält, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dem modernen Menschen zugeschrieben werden können. Diese in den Kulturschichten der Ilsenhöhle überlieferte Epoche der Menschheitsgeschichte – die Lebenswelt der letzten Neandertaler und der ersten Vertreter des modernen Menschen – ist damals wie heute von großer wissenschaftlicher Bedeutung. Deshalb haben Archäologen und Forscher verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen des Max-Planck-Institutes für Evolutionäre Anthropologie und des Thüringischen Landesamtes für Archäologie und Denkmalpflege in einem Kooperationsprojekt damit begonnen, neue Ausgrabungen in der Ilsenhöhle unter der Burg Ranis durchzuführen. Die Ziele sind unter anderem, genaue Altersangaben für die Entstehung der Kulturschichten zu ermitteln und die Lebens- und Umwelt der letzten Neandertaler und der ersten modernen Menschen zu rekonstruieren.

 

Die Blattspitze steht folglich als Leitexponat im Ausstellungsbereich Eiszeit aus mehreren Gründen: sie repräsentiert ein formschönes und technisch anspruchsvolles Gerätekonzept aus einer wichtigen Umbruchphase in der Entwicklung zum heutigen Menschen vor 30.000 – 40.000 Jahren. Sie symbolisiert die große wissenschaftliche Bedeutung, die noch heute den Funden aus der Ilsenhöhle beigemessen wird und sie ist ein Zeugnis für den kulturellen Austausch vom Neandertaler und modernen Menschen während der Besiedlungsgeschichte Europas.

 

Leitexponat Eiszeit: Blattspitze

Verfasser: Dr. Tim Schüler & Dr. Marcel Weiß